Migration und Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit

Deutschland hat 81 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, von denen mehr als 16 Millionen einen so genannten Migrationshintergrund haben. Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen "alle Ausländer und eingebürgerte ehemalige Ausländer, alle nach 1949 als Deutsche auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderte, sowie alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil." (Statistisches Bundesamt, 2016).

Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland kommen aus der Türkei (17,4%), gefolgt von Polen (9,9%), der Russischen Föderation (7,3%) und Italien (4,7%). Im Rahmen der Flüchtlingswelle sind 2015 zudem weitere 1, 1 Millionen Personen nach Deutschland gekommen. Der Großteil kommt aus Syrien (50%), Irak (15%, Afghanistan (11%) und den Balkanländern (BAMF, 2016). Ein hoher Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund findet sich vor allem im Dienstleistungssektor, insbesondere in den Bereichen Hauswirtschaft, Pflege und Gesundheitswesen, im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Bau- und Transportbereich sowie in der verarbeitenden Industrie und im Agrarsektor.

Unfälle

Die Daten zur Unfallstatistik von Beschäftigten mit Migrationshintergrund ergeben kein eindeutiges Bild. Die größte Zahl der Studien zu Arbeitsunfällen bei Migranten und Migrantinnen beschränken sich zudem auf Beschäftigte anderer Nationalitäten und nicht auf Beschäftigte mit Migrationshintergrund, da dieser, wie oben beschrieben, sehr weit gefasst ist. Insgesamt scheinen die Daten in die Richtung zu deuten, dass es ein leicht erhöhtes Risiko für Beschäftigte mit Migrationshintergrund gibt, einen Unfall bei der Arbeit zu erleiden. Dieses Risiko entsteht nicht durch das Migrant Sein per se, sondern ergibt sich aus einer Kombination aus Faktoren, zu denen die sprachlichen Vorkenntnisse der Person, die kulturellen Unterschiede im Sicherheitsverhalten sowie die Branche bzw. der Arbeitsplatz gehören, an dem die Person beschäftigt ist.

Was bedeutet dies für den Arbeits- und Gesundheitsschutz?

Beschäftigte mit Migrationshintergrund, die in der IT- Branche oder in der Hightech-Industrie arbeiten, verfügen über eine hohe berufliche Qualifikation, arbeiten in risikoarmen Umgebungen und unterscheiden sich im Hinblick auf gesundheits- und sicherheitsbezogene Indikatoren nicht von nationalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Eine im Jahr 2008 im Auftrag der MMBG, StBG, BG-Bau, VBG und der Unfallkasse NRW von der DGUV durchgeführte Studie hat jedoch gezeigt, dass besondere Präventionsmaßnahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund nötig sind, die über nur geringe Deutschkenntnisse und berufliche Qualifikationen verfügen. Denn gerade sie sind häufig in risikoreicheren Branchen und an Arbeitsplätzen beschäftigt, wo mangelnde Sprachkenntnisse und geringe Qualifikationen - eventuell noch verbunden mit kulturellen Unterschieden im Sicherheitsverhalten - zu einer besonderen Gefährdung führen können. Diese Beschäftigten mit Migrationshintergrund, geringen Sprachkenntnissen und geringer Bildung gehören zur "vulnerablen Gruppe" von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich durch die Kombination mehrerer Risikofaktoren auszeichnet und dadurch anfälliger für Arbeitsunfälle wird. Hier sind besondere Präventionsansätze notwendig.

Auch im Bereich der Klein- und Kleinstbetriebe ist Migration und Arbeitsschutz ein Thema: 23,1% der türkischen Betriebe in Deutschland entfallen auf das Gastgewerbe, die vorwiegend als Kleinstbetriebe organisiert sind. Die BGN führte eine Studie durch, bei der türkische und deutsche Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer verglichen wurden. Auffällig waren die fachlich geringere Qualifikation türkischer Gastronominnen und Gastronomen sowie das Fehlen von geregelten Arbeits- und Freizeitstrukturen. Aufgrund der Ergebnisse führt die BGN ihre Qualifikationsmaßnahmen für türkische Kleinunternehmen nun auch mit sprachlicher Assistenz durch.

Wie man Betriebsanweisungen vereinfachen kann, so dass sie auch für Menschen mit geringen Sprachkenntnissen verständlich sind, zeigt ein Projekt der BGHM. (PDF einfügen).

Ansätze für die Prävention:

Für die Prävention im Bereich Migration bieten sich beispielhaft folgende Ansätze an:

  • Einsatz und Gestaltung von mehrsprachigen und/oder bildgestützten Anweisungen und Hinweisschildern
  • Bei der Personalauswahl auf die Sprachkompetenz der Bewerberin und des Bewerbers achten – fehlen Kenntnisse der deutschen Sprache, so sollten bereits zu Beginn der Tätigkeit im Unternehmen Maßnahmen vereinbart werden, um die Defizite zu beseitigen.
  • Den Unterweisungserfolg sicherstellen und kontrollieren, dass Unterweisungsinhalte auch tatsächlich verstanden worden sind. Eventuell mehrsprachiges Unterweisungsmaterial bzw. nichtsprachliches Unterweisungsmaterial verwenden (z. B. Napo-Filme)
  • Besuch von Seminaren zum Umgang mit /Unterweisung von Beschäftigten mit Migrationshintergrund und zu interkulturellen Kompetenzen
  • Peersystem aufbauen: Eine Vertretung der Migrantengruppe (auf Englisch "Peer"), mit guten Deutschkenntnissen als auch Kenntnissen der Herkunftssprache und gutem Ansehen bei den Landsleuten ist Ansprechperson für Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes. Diese Person kann vieles in der Landessprache einfacher vermitteln und hat die Autorität, dieses auch in der Peer-Gruppe durchzusetzen. Das Peersystem kann auch Teil eines interkulturellen betrieblichen Gesundheitssystems sein.
  • Partizipation: Oft werden Beschäftigte mit Migrationshintergrund nur als "nur als Personen" gesehen, die Präventionsdienstleistungen empfangen. Letztlich ist, wie z. B. beim oben genannten Peersystem, ein aktives Einbeziehen der Menschen selbst in die Prävention sinnvoll.
  • Die folgenden Unterlagen fassen die o.g. Punkte gut zusammen (PDF, 1,6 MB, nicht barrierefrei)

Auf übergreifender Ebene:

  • Schaffung länderübergreifender Standards und Export von Sicherheitsstandards. Zudem können internationale Seminare dazu beitragen, die Arbeits- und Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern
  • Entwicklung einer globalen Präventionskultur, die die Unterschiede in den Präventionskulturen verschiedener Länder langfristig harmonisiert

Ausblick:
Aufgrund der hohen Einwanderungszahlen aus Drittländern in die EU wird das Thema Umgang mit Migration und kultureller Vielfalt am Arbeitsplatz noch an Relevanz zunehmen.

Seminare:
Das Institut für Arbeit und Gesundheit bietet unterschiedliche Seminare zum Thema Migration und Arbeitsschutz an:

Weiterführende Literatur:

Boege, K. & Neumann, A. (2017): Auslandsentsendung in Krisenregionen - Zeitschrift für Personalwirtschaft Sonderheft 5_2017, S. 20 – 21 (PDF, 125 kB, nicht barrierefrei)

Boege, K., Hussing, M., Ulrich, M., Biesel, E. (2016): Flüchtlingshilfe und Prävention. Artikel in der Zeitschrift DGUV Faktor. S. 10- 17 (PDF, 2,0 MB, nicht barrierefrei)

Ringeisen, T. & Boege, K. (2009): Interkulturalität im Arbeitsalltag - Ansätze zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. In: Zeitschrift Wirtschaftspsychologie aktuell 3/2009

Ringeisen, T. & Boege, K. (2008): Umgang mit Interkulturalität: Eine aktuelle Herausforderung im Arbeits- und Gesundheitsschutz. In B. Ludborzs & H. Nold (Hrsg.), Psychologie der Sicherheit und Gesundheit: Entwicklungen und Visionen 1980 – 2020, Kröning

Boege, K. & Manz, R. (2007): Traumatische Ereignisse in einer globalisierten Welt, Kröning, Asanger Verlag

Esin Taşkan-Karamürsel, Ingela Jöns & Barbara Schlote-Sautter (2007): Belastungen und Ressourcen bei türkischen und deutschen Kleinunternehmern (PDF, 68 kB, nicht barrierefrei)

Taşkan, E. (2005): Gesundheitsförderung in Kleingaststätten - Ein interkultureller Vergleich türkischer und deutscher Unternehmer (PDF, 90 kB, nicht barrierefrei) . Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Mannheim.