Endokrine Disruptoren am Arbeitsplatz

Foto: Feld aus der Vogelperspektive, auf dem ein Traktor mit zwei langen Sprüharmen rechts und links fährt.

Bild: flightpixel - stock.adobe.com

Die Arbeitswelt ist von endokrinen Disruptoren (ED) ebenfalls betroffen. Zum Beispiel werden sie bei der Herstellung von Pestiziden oder Kunststoffen und anderer chemischer Produkte verwendet. Sie befinden sich in Produkten für die professionelle Anwendung, z. B. in Pestiziden, Schädlingsbekämpfungsmitteln und Kosmetika. Auch bestimmte Desinfektionsmittel im Gesundheitsdienst enthalten Substanzen, die als hormonaktiv angesehen werden. Dies betrifft zudem diverse Arzneimittel und Laborchemikalien. Einige industriell verwendete Metalle sind als endokrine Substanzen identifiziert. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass endokrine Disruptoren bei bestimmten Arbeitsprozessen entstehen und freigesetzt werden können. So werden bei unvollständigen Verbrennungsprozessen polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) gebildet.

Gefährdungsbeurteilung

Ob eine Exposition gegenüber ED an einem konkreten Arbeitsplatz möglich ist, muss im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden. Hierfür dienen die Informationen der Hersteller/Inverkehrbringer zu den stoff- und produktbezogenen Gefahren. Die stoff- und produktbezogenen Gefahren ergeben sich für die Anwender aus den Einstufungs- und Kennzeichnungsinformationen der CLP-Verordnung, die sich auf der Produktverpackung und im dazugehörigen Sicherheitsdatenblatt befinden. H-Sätze warnen bekanntlich vor den spezifischen Gefahren, bei denen es sich um physikalische Gefahren (H200 bis H290), Gesundheitsgefahren (H300 bis H373) und Umweltgefahren (H400 bis H420) handeln kann. Allerdings werden dabei Stoffe, die während der Be- und Verarbeitung entstehen können, nicht berücksichtigt.

Mit den neu eingeführten Gefahrenklassen sind nun auch EUH-Sätze verfügbar, aus denen erkennbar ist, dass es sich bei dem eingestuften Stoff/Produkt um eine hormonaktive Substanz handelt. Die neuen Einstufungen gelten derzeit im Rechtsraum der EU, eine Übernahme in das GHS ist noch unklar. Deswegen haben die neuen Einstufungen keine H-Sätze (GHS), sondern EUH-Sätze (rein CLP), siehe Unterseite Regulatorik. Kennzeichnungen mit den entsprechenden Sicherheitshinweisen in Form von P-Sätzen (s. Neue Kennzeichnungen) sind dabei ebenfalls zu beachten.

Allerdings wird es für betriebliche Verantwortliche nicht zuletzt aufgrund der Übergangsfristen und der deshalb zunächst fehlenden Kennzeichnung auch in nächster Zukunft schwierig sein, eigenständig Stoffe und Produkte zu identifizieren, die als ED allgemein anerkannt und bei denen spezielle Schutzmaßnahmen aufgrund ihrer hormonaktiven Wirkung notwendig sind.

Schutzmaßnahmen

Grundsätzlich gilt: Wird ein direkter Kontakt mit Gefahrstoffen und die Aufnahme chemischer Substanzen über die Haut (dermal) oder die Einatmung (inhalativ) bei den Beschäftigten verhindert, so wirken die Chemikalien auch nicht schädigend auf die Beschäftigten ein. Dies trifft sowohl für alle klassischen Gefahren durch Arbeitsstoffe als auch für die Einwirkung (potenzieller) endokriner Disruptoren zu. Eine orale Aufnahme spielt am Arbeitsplatz im Regelfall keine Rolle. Der beste Schutz vor diesen Stoffen ist die Einhaltung der branchenüblichen Schutzmaßnahmen an allen Arbeitsplätzen.

Für viele Arbeitsplätze haben die Unfallversicherungsträger und andere Institutionen branchen- und tätigkeitsbezogene Hilfestellungen entwickelt, zum Beispiel die Branchenregeln des DGUV Regelwerks. Als umfassende Gefährdungsbeurteilungen untersuchen sie spezielle Tätigkeiten einer Branche und beschreiben die notwendigen Schutzmaßnahmen. Diese Branchenhilfen basieren auf der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 400" Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen" sowie TRGS 401 "Gefährdung durch Hautkontakt, Ermittlung - Beurteilung - Maßnahmen" und TRGS 402 "Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition". Die in diesen Quellen genannten Schutzmaßnahmen können - zusammen mit denen in den TRGS der Reihe 500 (Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen) genannten - bei der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung als Vorinformation für die sichere Ausgestaltung der konkreten Arbeitsplätze/Tätigkeiten herangezogen werden. Ihre Einhaltung gewährleistet, dass nach dem aktuellen Wissensstand die Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten ausreichend sind.

Wichtig ist die Einhaltung von Luftgrenzwerten, die für Stoffe abgeleitet werden, deren Wirkung einem Schwellenwertmechanismus unterliegt. Zur Ableitung eines Grenzwerts sind alle toxikologischen Endpunkte eines Stoffes zu betrachten, etwa die Reizwirkung oder eine neurotoxische Wirkung. Ein Grenzwert muss sich an dem „kritischen Effekt“ orientieren, also dem schädlichen Effekt auf die Gesundheit, der bei der niedrigsten Konzentration beobachtet wird. Andere Effekte treten erst bei höheren Konzentrationen auf. Dadurch, dass Grenzwertableitungen ihren Ausgangspunkt beim empfindlichsten Gesundheitseffekt nehmen, soll gewährleistet werden, dass die Einhaltung von AGW auch vor endokrinen Wirkungen schützt.

National verbindliche Grenzwerte für die dermale Exposition gibt es nicht. Grundsätzlich ist es wichtig, den dermalen Kontakt mit einer Chemikalie durch technische Schutzmaßnahmen (Automaten, Arbeitshilfen etc.) oder durch das Tragen Persönlicher Schutzausrüstung (Schutzhandschuhe und andere Chemikalienschutzkleidung) zu vermeiden. Dies gilt für alle Gefährdungen.

Besondere Aufmerksamkeit bei der Beurteilung von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit hormonaktiven Stoffen muss Schwangeren, Stillenden und Jugendlichen gelten. Diese Arbeitnehmenden (beziehungsweise das Kind im Mutterleib) müssen aufgrund möglicher fortpflanzungsgefährdender oder entwicklungsschädigender Wirkungen von bestimmten ED besonders vor einer Exposition geschützt werden.

In den meisten Fällen werden bei endokrinen Disruptoren bereits heute die schädlichen Effekte durch die Einstufung in die Gefahrenklassen Karzinogenität, Reproduktionstoxizität oder spezifische Zielorgantoxizität berücksichtigt. Daher ist zunächst nicht zu erwarten, dass aufgrund der neuen zusätzlichen Einstufung in ED HH bei diesen Stoffen weitere Schutzmaßnahmen als notwendig angesehen werden. Jedoch ist hinsichtlich der arbeitsmedizinisch-toxikologischen Beratung im Rahmen der jährlichen Unterweisungen oder einer zusätzlichen Unterweisung bei Änderung der Einstufung ein besonderes Augenmerk auf diese Stoffe zu richten und auch die besondere Wirkweise dieser Stoffe zu erklären. Auch die Anpassungen von Gefährdungsbeurteilung, Betriebsanweisungen und dem Gefahrstoffverzeichnis sind nach einer erfolgten Einstufung durch den Lieferanten und/oder die EU vorzunehmen.